Denken nach Ivan Illich

Im Winter 1995 kam ich auf Einladung von Barbara Duden nach Bremen, um an den Freitagnachmittags-Vorlesungen von Ivan Illich teilzunehmen. Er würde diesen Winter über Medizin sprechen, hatte Barbara angekündigt. Die Freitagnachmittage waren eine große Überraschung. Um das 12. Jahrhundert ging es da, um den Geruch der Heiligen, um Gastfreundschaft, um Levinas, um das Sterben und um das „Soll“. Was das alles mit Medizin zu tun haben sollte, begriff ich lange nicht. Wie ich überhaupt lange nicht wusste, wovon dieser eigenartige Mann da vorne redete. Trotzdem war mir schnell klar: Hier gibt es etwas zu verstehen, was sonst nicht gelehrt wird. Ein Jahr später zog ich mit Sack und Pack nach Bremen, um eine der Weg- und Denkgefährten von Ivan Illich zu werden.

Die nächsten Jahre versuchte ich, meine Doktorarbeit über „Die verrechnete Hoffnung. von der selbstbestimmten Entscheidung durch genetische Beratung“ zu schreiben; mindestens ebenso viel Zeit wie mit dieser Arbeit verbrachte ich jedoch mit Ivan Illich und seiner Denkerei in Bremen, Mexiko, Italien und den USA. Als seine „rechte Hand“ stellte ich die „Pudel“-Bände zusammen, Dokumentationen unserer Arbeitstreffen und Ergebnisse, baute mit Hilfe von Isabell Hohnroth eine Webseite auf, organisierte Treffen und Veranstaltungen und hielt zusammen mit Ivan Vorträge. Auf der – inzwischen nicht mehr aktualisierten – Webseite „Denken nach Illich“ finden sich noch zahlreiche Texte und Materialien aus der Zeit.

Am 2. Dezember 2002 ist Ivan ganz plötzlich, kurz bevor wir uns treffen wollten, um an einem gemeinsamen Text über die Auswirkungen des Risikodenkens zu schreiben, in Bremen gestorben. Ihm verdanke ich Orientierung im Denken, zahlreiche Freundschaften, eine grundlegende Skepsis gegenüber technischen Machbarkeitsverheißungen und vieles mehr. Sein Freundeskreis trifft sich weiterhin zwar unregelmäßig, aber umso leidenschaftlicher zum „Denken nach Illich“ in Bremen, Oakland, Italien oder anderswo. Die neue und laufend aktualisierte Webseite „Illich Archive“ soll solche Aktivitäten und alle möglichen Materialen von und über Illich zugänglich machen.